22.12.05

Für Hans oder: Der Zirkus mit dem Christbaum

Knapp drei Wochen vor Weihnachten ist Papa unruhig geworden. „Jetzt müssen wir langsam einen kaufen“, hat er zu Mama gesagt, „sonst sind die schönen alle weg.“ Dann setzte er sich ins Auto und machte sich auf die Suche. Das hat schon oft sehr lange gedauert, einmal hat er erst am 23. einen gefunden, bis dahin ist er nur zum Schlafen nach Hause gekommen. Bei der Christbaumsuche ist Papa etwas zwanghaft.

Es ist aber auch nicht einfach in dieser Familie. Seit dem Hausbau 1971 steht der Baum immer an derselben Ecke in der holzvertäfelten Bauernstube, auf einem massiven Eichentisch. Damit oben noch ein Stern drauf passt, darf er nicht größer sein als Papa. Der ist knapp einen Meter 75, wenn man es gut mit ihm meint.

Weil rechts vom Eichentisch noch die Tür zur Küche aufgehen muss und links davon an Heiligabend die Oma sitzt, beschränkt Papa auch die maximale Breite aufs Penibelste. Und einer, der nadelt, ist sowieso nichts, sonst schimpft die Mama, weil die Putzerei ja eh immer an ihr hängen bleibt.

Also legt Papa die Suche großräumig an. Zuerst fährt er sämtliche Orte an, an denen er früher schon einmal fündig geworden ist: Das Pep, den Tandler vorne an der Ecke und den Biergarten vom Wienerwald auf der Wasserburger Landstraße, auch wenn da im Sommer eine neue Wirtschaft aufgemacht hat. Bis nach Zorneding treibt es ihn, da war vor ein paar Jahren einer schöner als der andere.

Wenn er einen Baum in die engere Auswahl nimmt, stellt er sich davor, hält die flache Hand waagrecht zur Stirn – ein bisschen wie ein Soldat, wenn er salutiert – und peilt die Höhe. Dann streckt er einen Arm neben den Baum, für die Breite. Damit's nicht nadelt, gibts seit Jahrzehnten nur noch Nordmanntannen, aber weil man ja auch bei denen nie sicher sein kann, wird jede noch gründlich durchgeschüttelt.

Irgendwann ist es dann soweit: Höhe, Breite und Nadelfestigkeit stimmen, Papa kauft. Wo, sagt er nicht. Nicht, bevor Mama gesagt hat, wie sie ihn findet. Heiligabend ist der große Tag. Papa stellt den Baum auf den Eichentisch, steckt den Stern auf die Spitze und freut sich, dass die genau noch drauf passt. Er öffnet die Küchentür – geht auf. Er sitzt für Oma Probe – passt hin. Dann kommt Mama herein und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: Links unten und da vorne seien ja überhaupt keine Äste. Wie sehe das denn aus? Wo solle man denn da Kugeln hinhängen? Was werde die Oma sagen?

Jetzt muss der Sohn schlichten. Keine leichte Aufgabe, will man anschließend noch ein friedliches Fest feiern. „Naja, paar Lücken“, murmelt er deswegen, „aber ist doch ganz okay.“ Meistens geben sich Mama und Papa damit zufrieden. Weil Weihnachten ist.

Im September ist Papa gestorben. Krebs, es ging sehr schnell. Weihnachten wird nie mehr so sein wie früher. Aber am meisten fehlt der Zirkus mit dem Christbaum.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hab ich Dir eigentlich schon mal gesagt, dass mir jedes Mal die Tränen kommen, wenn ich diese Zeilen lese? Sie treffen mitten ins Herz. Schreib weiter mit so viel Liebe. I.

Anonym hat gesagt…

Also ich hab lachen müssen, weil ich ihn mir eben so bidlich vorstellen kann, den Papa beim Salutieren vor der Nordmanntanne. Und weil doch fast jeder so eine ähnliche Geschichte hat, vom Papa und dem Christbaum. Meine Geschichte würde zwar eher heißen "der Kampf mit dem Christbaumständer", sie ließe sich aber ähnlich dramatisch beschreiben!

Anonym hat gesagt…

Mei Hans, das hätte auch mein Vater sein können (die Waldtruderinger halt). Ich seh's förmlich vor mir, wie das von statten ging und wie man zwischen Schmunzeln und Granteln hin- und hergerissen ist. Deine Seite macht richtig Spaß! Vielen Dank dafür.