1.12.06

Zwischen Tilapia und Risolée

Es ist dringend, und er weiß, es wird knapp. Schon vor einer Stunde hat er es erstmals gespürt, den Gedanken aber schnell wieder verdrängt. Der Beitrag war wichtiger, der war schließlich zur vollen Stunde für die Sendung eingeplant. Fest eingeplant. Alle hatten sich darauf verlassen, da konnte er doch unmöglich mittendrin aufstehen und.

Aber jetzt muss es sein. Er springt auf, schnappt sich den Geldbeutel und hastet zum Aufzug. Wie immer kommt keiner, also spurtet er den Gang entlang, vorbei an den drei Glastüren, grußlos auch vorbei an den drei Kollegen, die ihm entgegen kommen. Zwei Treppen hinunter, noch eine Glastür, dann würde er endlich am Ziel sein. Doch kurz hinter dem Drehkreuz fällt ihm auf: Er hat nicht nur wahnsinnigen Hunger, so groß, dass er gerade zum ersten Mal seit dreieinhalb Wochen, als ihn der abartige Appetit auf ein Glas fettarme H-Milch übermannte, wieder in der Kantine steht. Er muss auch so unendlich dringend ein weiteres Bedürfnis stillen, dass nicht einmal die Aussicht auf Gemüsenussbraten in Senfmarinade und Tilapiafilet in Kürbiskruste an Risoléekartoffeln ihn zurück halten kann. Was immer Tilapia ist. Und Risolée.

Also springt er über das Drehkreuz, zurück auf den Gang und links durch die Tür. Zwischen die Pissoirs sind Trennwände geschraubt, vermutlich auf Wunsch des Personalrates, der im Zuge einer groß angelegten Gleichberechtigungskampagne auch die Intimsphäre der männlichen Belegschaft schützen wollte. Er wählt den mittleren Stellplatz, den Geldbeutel legt er auf die rechte Trennwand. Doch die Trennwand ist nicht besonders breit, und während er mit zunehmend erleichtertem Gesichtsausdruck beide Hände voll zu tun hat, wird die Lage des Geldbeutels zunehmend instabiler.

Er neigt sich nach links, droht, in das Pissoir zu fallen. In einem Reflex ergreift er das Portemonnaie mit der rechten Hand, vernachlässigt dabei aber das Gleichgewicht an seiner Hose und provoziert einen großen gelben Strahl an die linke Trennwand. Geschockt korrigiert er die Position, lässt dabei aber den Geldbeutel zu Boden fallen. Da ergreift ihn unerwartete Gelassenheit: Immerhin nicht ins Pissoir, denkt er, bringt ruhig zu Ende, was er angefangen, bückt sich zum Geldbeutel, steckt ihn ungeachtet der so entstehenden mächtigen Beule in die rechte vordere Tasche seiner Jeans, wischt sich möglichst ungezwungen den Schweiß aus dem Gesicht und schlendert zurück in die Redaktion. Hunger hat er keinen mehr.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und Händewaschen issnich? Schmutziges Geschäft das!

Anonym hat gesagt…

und Trennwand abwischen offenbar auch nicht, ja pfuibäh!;-PP

Hans Häuser hat gesagt…

Es ist dort ja nicht wie in England, wo an der Innenseite der Türen ein rotes Schild mit großen weißen Buchstaben hängt: "NOW wash your hands".

Anonym hat gesagt…

haha, bei uns sagt das schild "please flush COMPLETELY" und am spiegel klebt eine genaue anleitung zum richtigen händewaschen!