4.6.07

Chakra in Schlehdorf

Was dann passiert, wäre nicht mehr nötig gewesen. Sie hat einen schönen Tag verbracht, obwohl nichts wie geplant geplant hat. Geplant war: Nach Mittenwald, eine Runde um den Kranzberg radeln, eine Apfelschorle am See, ein bisschen mp3-Hören. Aber als ihr kleiner Renault schon auf der Autobahn durch drei Wolkenbrüche stapfen muss, fährt sie in Kochel raus und legt sich im Trimini in die Sauna. Dann geht sie raus auf den Steg, schaut über den Kochelsee und hinauf zum Jochberg. Ihre geliebten Berge. Sie steht lange und stellt sich vor, wie es jetzt da oben wäre. Und wie es wäre, immer da oben zu sein. Auf einer Hütte aus duftendem Holz, und jeden Tag beim Aufwachen der Blick über die Gipfel in der Morgensonne.

Auf dem Rückweg fährt sie durch Schlehdorf. Und ist berührt, als sie die Schrebergärten unterhalb der Klostermauern sieht - ein Bild wie vor hundert Jahren. Frauen harken den Boden, stehen herum, wischen sich die Stirne. Beunruhigende Idylle.

Sie stößt die Tür zum Kloster auf, wundert sich, weil es viel leichter geht, als sie angesichts der dicken Beschläge erwartet hat. Da durchströmt es sie. Ein warmer Wasserfall schießt in ihren Körper, füllt sie ganz aus. Die Schultern, sonst immer direkt an den Ohren, als wollten sie den Kopf schützen vor Angriffen von hinten, werden weich, sacken nach unten. Der Kopf, diese Rassel mit den wilden Gedankenkugeln, jetzt leer und offen. Ihr ist, als wäre sie wieder zu Hause, ein kleines Mädchen in Sicherheit, von den Eltern umsorgt. Wie damals an Weihnachten, als der Papa den Baum geschmückt, die Mama die Suppe gekocht und sie derweil sich selbst vergessen und nach draußen auf den Schnee geschaut hat.

Sie setzt sich in die zweite Bank, sie geht in die Knie, anders ist es nicht auszuhalten. Ungläubig starrt sie zum Altar, sucht ein Bild des Herrn, den sie hinter dem vermutet, das in ihr vorgeht. Eine Freundin sagt ihr später, sie habe ein Chakra gespürt, Spirituelles erlebt. Sie widerspricht nicht.

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Für T. Weil sie lebt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

oh wow, was für eine berührende Geschichte - ich hab wirklich Gänsehaut beim Lesen bekommen! Ich kenn die Momente, wenn die Chakren frei werden, die Energie durch sie hindurch schießt und alles irgendwie eins wird - und ich kann es nachempfinden, wenn ich diesen Text lese!